Landwirtschaft in der BRD - Politisch und gesellschaftlich ist viel zu tun!

18.01.2024
Persönliche Meinung

Blogbeitrag von Lasse Baar

Zu viel ist zu viel! So oder so ähnlich steht es in diesem Tagen auf vielen Schildern, befestigt an Traktoren oder anderen landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen, die derzeit im Zuge einer Aktionswoche zahlreich durch Deutschlands Städte fahren. Die Reaktionen auf diese Aktionen sind gemischt. Während sich viele Personen unterstützend äußern und sich wie Teile der Logistikbranche sogar solidarisierend dem Protest anschließen, bringen andere ihr Unverständnis über das Ausmaß der Proteste zum Ausdruck.

Nicht selten hört man dabei Aussagen, wie dass so eine Reaktion auf die Streichung von (vermeintlich unbedeutenden) Steuervergünstigungen völlig überzogen sei. So zu denken, greift allerdings aus mehreren Gründen zu kurz. Besagte Steuervergünstigungen sind gerade für kleinere landwirtschaftliche Betrieb ein wichtiger Beitrag für den Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Zudem waren die jüngsten Beschlüsse der Ampel-Regierung, das machen nicht nur der oben genannte Slogan, sondern auch viele Aussagen von Landwirtinnen und Landwirten deutlich, lediglich der viel zitierte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Seit Jahren läuft Vieles verkehrt
Gefüllt wurde besagtes Fass in den vergangenen Jahren von vielen Faktoren. (Auch die CDU kann hier nicht von einer Mitschuld freigesprochen werden.) Zuerst wäre hier die immer stärkere Konkurrenz durch landwirtschaftliche Erzeugnisse aus dem Ausland zu nennen, die unter z.T. deutlich weniger kostenintensiven Bedingungen (Löhne, Umwelt- und Tierwohlvorschriften, Steuern…) hergestellt werden. Diese werden dementsprechend billig auch auf dem deutschen Markt angeboten und erhöhen so den Druck auf unsere heimischen Betriebe, die als Preisnehmer gezwungen sind, ihre Produkte mit oft sehr geringen Gewinnspannen anzubieten, um überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Ein weiterer Faktor ist die Bürokratielast. Landwirtinnen und Landwirte sind ständig zum Erstellen von Meldungen und Anträgen an und bei verschiedensten Stellen gezwungen. Hierdurch wird ihre Arbeit unnötig erschwert und verkompliziert. Auch der Klimaschutz (dass auch die Landwirtschaft hier ihren Beitrag zu leisten hat, ist indiskutabel) stellt unsere heimische Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Viele Landwirtinnen und Landwirte fühlen sich bevormundet und von stetig wechselnden Vorgaben und Auflagen überfordert. Hierzu passt auch das Gefühl, nicht gehört oder aber missverstanden zu werden. Ein Vorwurf, der immer wieder von Landwirtinnen und Landwirten geäußert wird und den sich auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir gefallen lassen muss.

Dieser beteuert regelmäßig, zugehört zu haben, setzt sich dafür aber erstaunlich wenig für die Wünsche und Bedürfnisse vieler Landwirtinnen und Landwirte ein. Und dass viele landwirtschaftliche Betriebe zu kämpfen haben, zeigt bereits der drastische Rückgang an landwirtschaftlichen Unternehmen um mehr als 40% in den vergangenen 20 Jahren.

Es braucht ein Bewusstsein für Landwirtinnen und Landwirte

Die von vielen Medien und auch Organisationen wie Greenpeace verbreite Behauptung, dass es der deutschen Landwirtschaft dank ,,Rekordgewinnen‘‘ eigentlich ganz gut ginge, ist also gerade in Bezug auf kleinere Unternehmen schlichtweg falsch. Solch ein Irrglauben, ebenso wie dass ,,die Bauern das schon irgendwie aushalten werden‘‘ kann Beschlüsse wie die der Ampelregierung erklären, ist aber eben trotzdem ein Irrglaube. ,,Bauer‘‘ ist kein gewöhnlicher Beruf. Für viele ist er eine Lebensentscheidung und wird zu einer Lebensaufgabe. Tägliches Arbeiten und eine (Minimum) 60-Stunden-Woche sind keine Seltenheit. Auch das finanzielle Risiko und der Aufwand an Eigenkapital sind mit wenig anderen Berufen vergleichbar.

Ein weiterer Irrtum scheint beim Thema Klimaschutz zu bestehen. Das Outsourcing von Umweltbelastungen in andere Staaten durch den Import von Lebensmitteln verbessert vielleicht Deutschlands Umweltbilanz, hilft dem globalen Klima aber nicht. Im Gegenteil könnten durch längere Transportwege oder niedrigere Umweltstandards im Agrarsektor anderer Staaten sogar höhere Schadstoffbelastungen entstehen.

Ebenso sollte von Seiten der Ampel-Regierung nicht übersehen werden, welchen politischen Effekt eine Geringschätzung der Landwirtschaft haben kann. Eine Verstärkung des Gefühls eines Nicht-Gesehen-Werdens kann noch mehr Menschen von der Politik entfremden oder gar in die Arme (rechts-)populistischer Parteien treiben. Neben der AfD versucht derzeit auch Hubert Aiwanger, mit fragwürdigen Aussagen Kapital aus der Situation zu schlagen.

Eine gesunde Landwirtschaft birgt viele Vorteile
Dabei sollte eigentlich klar sein: Deutschland braucht eine starke, vielfältige und finanziell gesunde Landwirtschaft. Die Vorteile liegen auf der Hand. Deutsche Landwirtschaft bedeutet Regionalität, Nachhaltigkeit und Lebensmittelunabhängigkeit. Dass der letztgenannte Punkt ein hohes Gut darstellt, sollte spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine außer Frage stehen. Schon jetzt gibt es besorgniserregende Tendenzen. Dass an dem im Zuge der Demonstrationen ebenfalls häufig benutzten Ausspruch ,,Ist der Bauer ruiniert, wird dein Essen importiert.‘‘ bereits etwas dran ist, zeigen die Fakten. Schon jetzt kommen nur noch etwas mehr als ein Drittel des von den Deutschen konsumierten Gemüses auch aus Deutschland selbst, im Hinblick auf Obst liegt der Wert sogar bei lediglich knapp über einem Fünftel. Auch beim Fleisch gibt es besorgniserregende Tendenzen. Hier gibt es starke Verlagerungen z.B. nach Spanien.

Auch Proteste haben rote Linien
Dennoch sind in diesen Tagen auch die Landwirtinnen und Landwirte in der Pflicht. (Berechtigte) Wut darf nicht in Hass umschwenken. Ein Dialog muss möglich sein. Rote Linien sind spätestens dann zu ziehen, wenn in den Debatten demokratische Räume verlassen werden und z.B. Gewalt (auch non-verbaler Art) ins Spiel kommt. Exemplarisch steht hierfür der Vorfall um Robert Habeck zu Beginn dieses Jahres.
Prinzipiell agiert der Bauernverband hier aber gut, ebenso bei der Distanzierung von rechten Gruppen und anderen demokratiefeindlichen Strömungen.

Dennoch war z.B. in Berlin ein Traktor zu sehen, an dem ein Galgen samt aufgeknüpfter Ampel hing. Solche Entgleisungen schaden dem Anliegen und sind auf das Härteste zu verurteilen. Wichtig wird sein, stets in Erinnerung zu rufen, wofür protestiert wird und was erreicht werden soll. Auf keinen Fall dürfen die Proteste unterwandert werden und dadurch möglicherweise einen ähnlichen Verlauf nehmen, wie ihn z.B. die Gelbwestenproteste in Frankreich genommen haben.

Was muss gesellschaftlich passieren?
Was muss also passieren, um die aktuellen Probleme angemessen zu bearbeiten? Ein erster, sinnvoller Schritt läge darin, mehr miteinander anstatt übereinander zu reden. Das gilt auch für die Gesellschaft. Nicht Vieles war in den letzten Tagen weniger zielführend als die andauernden Vergleiche der Proteste mit ,,Fridays-for-Future‘‘ oder der ,,Letzten Generation‘‘. Ein gegenseitiges Fingerzeigen hilft keiner Seite weiter. Zu einer Versöhnung alter Gegensätze könnte auch ein stärkeres Bekenntnis der Landwirtinnen und Landwirte zu ambitionierterem Klimaschutz beitragen, das zwar bereits vielerorts erfolgt, möglicherweise aber noch nicht laut genug ist.

Gleichzeitig muss innerhalb der Gesellschaft ein breiteres Verständnis davon geschaffen werden, was auf diesem Feld wann und wie möglich ist. Die Landwirtschaft ist unter anderem deshalb so abhängig vom Agrardiesel, weil es bisher schlichtweg an Alternativen mangelt. Fallen die Steuervergünstigungen weg, wird also kein positiver Beitrag zum Umweltschutz geleistet, sondern lediglich eine weitere Belastung landwirtschaftlicher Betriebe hervorgerufen. Das Kapital, was hierdurch eingebüßt wird, fehlt den Betrieben also möglicherweise in den nächsten Jahren, wenn es darum geht, in bis dahin entwickelte, umweltfreundlichere Maschinen zu investieren. Auch in der Schulbildung könnte angesetzt werden zum Beispiel durch vermehrte Hofbesuche oder Klassenausflüge zu anderen landwirtschaftlichen Betrieben.

Was muss politisch passieren?
Politisch muss ebenfalls an vielen Stellschrauben gedreht werden. Kurzfristig sollten die geplanten Kürzungen vollständig zurückgenommen werden (gerne ohne dabei den kompletten deutschen Fischereisektor zu zerstören). Dennoch kann das derzeitige Modell überarbeitet werden. Eine Idee wäre es, Subventionen und andere finanzielle Erleichterungen für landwirtschaftliche Betriebe in Zukunft noch mehr an die Erbringung ökologischer Leistungen und das Einhalten ökologischer Standards zu knüpfen.

Da die Steuervergünstigungen für Agrardiesel besonders für kleine und mittlere Betriebe, das Herzstück unserer Wirtschaft, von hoher Bedeutung sind, wäre es eine Überlegung wert, diese ab einer bestimmten von einem Betrieb verbrauchten Literanzahl pro Jahr zu kappen.

Dringend muss außerdem der Bürokratieabbau angegangen werden, um die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte erheblich zu erleichtern. Hierdurch sowie durch klarere, beständigere und weniger strenge Baustandards für neue Stallungen etc. könnte vielen Betrieben der Weg in ein zukunftsfähiges und nachhaltigeres Arbeiten bereitet und der seit Jahren anwachsende Investitionsstau aufgelöst werden.

Ein letzter drängender Punkt ist der Schutz deutscher Produkte vor Billigimporten. Hier ist z.B. eine umfassendere Kennzeichnungspflicht unausweichlich. Sofern diese erfolgt ist, liegt es wiederum an der Bevölkerung (besonders an dem Teil, der es sich finanziell leisten kann) auch zu diesen Produkten zu greifen und sich somit bewusst für Regionalität und Nachhaltigkeit zu entscheiden.